„etwas, woran man den Schmerz aufhängen kann” – Fremdenfeindlichkeit in Kopano Matlwa´s Period Pain

von Alina Burger

Masechaba ist eine junge Frau in Südafrika, die Medizin studiert hat und jetzt Ärztin im örtlichen Krankenhaus ist. Doch anstatt Traumjob und Traumleben ist sie jeden Tag mit einem zerbröckelnden Gesundheitssystem, Fremdenfeindlichkeit und den Überbleibseln von Kolonialismus und Apartheid konfrontiert.

Auch wenn Masechabas Geschichte „nur“ in einem Roman existiert, könnte sie doch die Geschichte von vielen jungen Menschen im heutigen Südafrika sein. Der Roman liest sich fast wie das private Journal von Masechaba, durch das man tiefe Einblicke in ihre Gefühls- und Gedankenwelt bekommt. Entsprungen ist die Geschichte allerdings der Phantasie von Kopano Matlwa, einer jungen Schriftstellerin aus Südafrika. Matlwa (die selbst Medizin studiert hat) erzählt in Period Pain, ihrem bereits dritten Roman, berührend ehrlich und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen von der Situation in ihrem Heimatland. Sie erzählt von sozialen Unruhen, Rassismus, Politik, mentaler Gesundheit, Vergewaltigung. Masechaba ist unglücklich und unerfüllt in ihrem Job und ihrem Leben, sie hat das Gefühl, eh nichts verändern zu können. Von dem Leid ihrer Patient*innen ist sie teils sogar genervt, ein Gefühl, das – wie man oft als Leserin merkt – aus ihrer Hilflosigkeit entspringt. Immer wieder wird ihr Nichts-Tun aber von ihrer Freundin und Kollegin Nyasha konfrontiert, die zwei Figuren stehen deshalb oft im Konflikt. Ein prominentes Thema in dem Roman ist außerdem Fremdenfeindlichkeit, deren Ursachen und Auswirkungen. Matlwa zeichnet ein erschreckend akkurates Bild davon, wie auch Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid deren Überbleibsel immer noch in den Köpfen der Menschen und damit in der Gesellschaft feststecken. Als im Laufe des Romans gewalttätige Ausschreitungen gegen Ausländer*innen passieren, werden Masechabas Gewissensbisse immer stärker, sie möchte nicht mehr unbeteiligt daneben stehen und zusehen. Sie startet in der Folge eine Petition im Krankenhaus, die schnell viele Unterschriften erhält.

In Period Pain ist Fremdenfeindlichkeit oft das Ergebnis der Suche nach einem Sündenbock sowie der Unfähigkeit der Figuren, den wahren Ursprung ihres Leidens zu erkennen, nämlich das Erbe der Kolonialzeit und der Apartheid. Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Einwanderer und Menschen, die als nicht südafrikanisch wahrgenommen werden, wie Masechabas Freundin/Mitbewohnerin/Kollegin Nyasha. Sie äußert sich in Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt (Masechaba gibt zu, dass Nyasha bereits Fachärztin für Geburtshilfe und Gynäkologie wäre, wenn sie nicht Ausländerin wäre (Matlwa 39)), in Feindseligkeit während der medizinischen Versorgung und deren Qualität, in Verunglimpfungen und geht sogar bis hin zu physischer Gewalt wie Mord und Vergewaltigung.

Ausländern wird mit Respektlosigkeit und offener Feindseligkeit begegnet. Ein nigerianischer Arzt wird bespuckt und als „Kakerlake“ bezeichnet (Matlwa 79). Sie werden mit Schmutz und Gestank assoziiert (Matlwa 48, 74). Charaktere wie Masechabas Mutter sehen in Ausländern eine Bedrohung für die südafrikanische Identität und den Reichtum. Sie ist überzeugt, dass Nyasha nur Mashaba’s Freund ist, um „ihr Wissen zu stehlen und sie zu überholen“ (Matlwa 52). Für sie sind alle Fremden gleich: “Sie kommen in unser Land, um uns alles zu nehmen, wofür wir gekämpft haben.” (Matlwa 52).

Diese Stereotypen und Vorurteile entspringen leider nicht Matlwas Fantasie, sondern spiegeln die Realität in Südafrika wider (Kaziboni 207 – 208). Masechaba erkennt, dass dies der verzweifelte Versuch ihrer Mutter ist, „der Sinnlosigkeit einen Sinn zu geben, etwas, woran man den Schmerz aufhängen kann“ (Matlwa 126). Sie braucht einen einfachen Grund für all die Probleme in Südafrika. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman, in dem Einwanderer als Sündenböcke für Arbeitslosigkeit, Armut usw. angesehen werden. Nach Winstanley gibt es in der südafrikanischen Gesellschaft immer noch ein „politisches und soziales Bedürfnis nach einem wirtschaftlich benachteiligten Anderen“ (Winstanley 57). Diese Fremdenfeindlichkeit richtet sich vor allem gegen Menschen mit dunklerer Hautfarbe. Dies kann als black-on-black racism betrachtet werden und ist das Ergebnis von dreihundert Jahren Kolonialismus und der darauffolgenden Apartheid.

Um das Apartheidsystem aufrechtzuerhalten (also eine strikte Rassentrennung, in der people of color massiver Diskrimierung ausgesetzt waren), wurde den Südafrikanern ein tiefes Gefühl der rassischen Minderwertigkeit eingetrichtert. Diese Denkmuster sind unterbewusst immer noch tief verankert und führen dazu, dass Schwarze als Menschen angesehen werden, die es verdienen, schlecht behandelt zu werden (Guilengue; Duncan 109). Diese rassistischen Vorstellungen sind so tief in der südafrikanischen Gesellschaft verwurzelt und wurden von den Menschen verinnerlicht, dass „es unendlich weniger bedrohlich ist, die Enttäuschungen und Frustrationen, die sich aus den unerfüllten Versprechen eines neuen Südafrikas ergeben, auf andere Schwarze zu richten“ (Duncan 109). Aus diesem Grund richtet sich die Wut größtenteils auf (schwarze) Einwanderer und eben nicht auf die korrupten und mächtigen politischen Eliten oder die überwiegend weiße Mittelschicht, die auch Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid noch immer den größten Teil des Landes und der Ressourcen kontrolliert (Winstanley 63).

Nyasha, die ursprünglich aus Simbabwe stammt, ist sich dieser Problematik durchaus bewusst: Sie erklärt Machaba, dass der Hass zwischen Südafrikanern und anderen Afrikanern auf den Kolonialismus zurückzuführen ist, und wirft Masechaba vor, dass „die Südafrikaner weiterhin unter der Illusion der Freiheit leben werden […], ohne sich bewusst zu sein, wie [sie] in der Gefangenschaft der white supremacy bleiben“ (Matlwa 41). Obwohl die Hauptfigur Masechaba in der Lage ist zu erkennen, dass die fremdenfeindliche Behandlung unfair ist (Matlwa 73), fällt es ihr dennoch schwer, sich dagegen zu wehren, und sie steckt selbst noch oft in fremdenfeindlichen Denkmustern fest. Sie gibt zu, dass sie Nyasha manchmal sagen möchte, sie solle „zurück in ihr eigenes Land gehen“ und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern (Matlwa 42). Oft fehlt ihr der Mut, sich gegen fremdenfeindliches Verhalten einzusetzen, indem sie zum Beispiel mit ihren Kollegen über den vermeintlichen Geruch eines ausländischen Patienten lacht oder die Kommentare ihrer Kollegen herunter spielt.

Das räumt sie selbst ein: „Ich bin ein Feigling. Wenn das hier Apartheid wäre, wäre ich einer dieser stillen Weißen, die einfach nur dabeistehen und zusehen.“ (Matlwa 49). Dies zeigt, dass sie sich der Ähnlichkeiten von Apartheid-Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sehr wohl bewusst ist („Wir sind genau zu dem geworden, was wir so lange und hart bekämpft haben“ (Matlwa 49)), sich aber oft völlig hilflos gegenüber all dem fühlt. Sie ist überwältigt von der Vielzahl der Probleme, die sie jeden Tag sieht und denen sie sich stellen muss: „eine ständige Erinnerung daran, dass die Probleme riesig, vielfältig und tief verwurzelt sind und dass ich nichts tun kann, um sie zu lösen“ (Matlwa 60). Sie ist sich sogar bewusst, wo diese tiefen Wurzeln liegen: „Es ist die Schuld der Weißen, Herr. Alles ist es. Sie haben uns gelehrt, uns selbst zu hassen. Sie haben uns so gemacht. Wir waren nicht so, bevor sie kamen. Wir wären nicht so, wenn sie nicht gekommen wären und uns alles versaut hätten.“ (Matlwa 74). Dennoch lehnt sie Nyashas Versuche, ernsthafter auf das Thema einzugehen, oft ab oder ist von ihr genervt. Selbst am Ende glaubt sie noch, dass „diese Sache mit der Fremdenfeindlichkeit vorbeigehen wird“ (Matlwa 153) und dass es nur von Zeit zu Zeit zu Zwischenfällen kommt. Einerseits ist sie entsetzt über die gewalttätigen Übergriffe, die im Laufe des Romans passieren, andererseits will sie glauben, dass die fremdenfeindlichen Übergriffe nicht für Südafrika als Ganzes stehen, obwohl sie eine Fülle von Beispielen aus ihrem eigenen Leben hat. Das ist etwas, was Nyasha ihr auch vorwirft: „Du glaubst, du bist anders, Masechaba, aber ihr seid alle gleich“ (Matlwa 78).

Es wird deutlich, dass Fremdenfeindlichkeit in Period Pain ein sehr komplexes Thema ist. Es ergibt sich aus dem Erbe von Kolonialismus und Apartheid. Südafrikaner, die in ihrem Alltag mit Problemen zu kämpfen haben, suchen nach einem Grund, „etwas, woran sie ihren Schmerz festmachen können“, und tief verwurzelte rassistische Denkmuster, die während des Kolonialismus und der Apartheid gefördert wurden, machen schwarze Einwanderer zu den einfachsten Opfern. In einem zutiefst fehlerhaften System, in dem „man nicht großartig sein kann, selbst wenn man es möchte“ (Matlwa 31), fällt es den Menschen schwer, diese Muster zu erkennen und sich gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen, vor allem, wenn sie selbst die Reaktionen anderer auf einen solchen Aktivismus fürchten müssen, wie in Masechabas Fall die Vergewaltigung, der sie zum Opfer wird, nachdem sie eine Unterschriftenliste gegen rassistische Behandlung startet. [1] Dennoch ist es von entscheidender Bedeutung, diese Denkmuster und die zugrunde liegenden historischen und systemischen Probleme aufzudecken, um als Nation, aber auch in persönlichen Beziehungen voranzukommen. Denn Masechabas Mutter hat Recht, wenn sie sagt: „Der Teufel schläft nicht. Er ist heute noch genauso aktiv wie zu Zeiten der Apartheid. Er hat nur gelernt, sich besser zu tarnen“ (Matlwa 125). Nur zieht sie, wie viele Südafrikanerinnen und Südafrikaner, den falschen Schluss: Nicht die Ausländer sind es, durch die der „Teufel“ wirkt, sondern jahrhundertealte Vorurteile und Machtmechanismen.

Dieser Artikel basiert auf einem Essay, den ich im Wintersemester 2023/24 im Rahmen des Kurses „Postcolonial Literatures in English“ an der Karlsuniversität in Prag verfasst habe.

[1] Über das Thema der sexualisierten Gewalt und das Ende von Masechabas Geschichte könnte man einen ganzen weiteren Artikel schreiben. Dies würde allerdings diesen Artikel sprengen, der sich primär mit Fremdenfeindlichkeit in dem Roman befassen will. Eine nur kurze Abhandlung würde der Thematik nicht gerecht werden, weshalb an dieser Stelle darauf verzichtet wird, und die Vergewaltigung nur kurz angesprochen wird. Wer sich mehr dafür interessiert, dem empfehle ich ganz klar den Roman selbst einmal zu lesen.

Literaturnachweise:
Duncan, Norman. “Reaping the whirlwind: Xenophobic violence in South Africa” Global Journal of Community Psychology Practice 3.1 (2012): 104 – 112.
Guilengue, Fredson. “Xenophobia and Social Cohesion in South Africa” rosalux.de, 04.01.2024, https://www.rosalux.de/en/news/id/51059/xenophobia-and-social-cohesion-in-south-africa.
Kaziboni, Anthony. “Apartheid Racism and Post-apartheid Xenophobia: Bridging the Gap” Migration in Southern Africa, Pragna Rugunanan and Nomkhosi Xulu-Gama (Ed.), Springer, 2022, 201 – 214.
Matlwa, Kopano. Period Pain. Jacana, 2016.
Winstanley, Laura. “The Re-emergence of South African Nationalism in Kopano Matlwa’sPeriod Pain” Journal of the European Association for Studies of Australia. 9.2 (2018): 56 – 65.


Layout: Dominika Tóthová
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