Die Kühlbox der Pandora

– Vom Tauen des Permafrostbodens und menschlicher Existenzangst –
Public Climate School: Tag 3

von Luca Kehr

RUBRIKINFO Vom 17. – 21.05. 2021 findet wieder die Public Climate School statt, in deren Zuge in Schulen, Unis und der Gesellschaft auf die stattfinde Klimakatastrophe und die Zerstörung unserer Umwelt aufmerksam gemacht werden soll. Auch Nomen Nominandum beteiligt sich an dieser Aktion mit Artikeln zur Umweltgeschichte und akuten Problemen. Willkommen zum dritten Teil unserer Reihe!

Vier Millionen Menschen leben heute im arktischen Zirkel. Die globale Erwärmung macht sich in der Arktis mehr als doppelt so schnell bemerkbar wie auf dem Rest des Planeten. Mit ihr und dem dadurch verursachten Auftauen des Permafrostes setzen wir uns nicht nur auf globaler Ebene irreversiblen Katastrophen aus und schädigen wirtschaftlich immer noch relevante Infrastrukturen, sondern gefährden und zerstören jetzt schon indigenes Leben, generationenübergreifendes Kulturgut und das Bestehen einer gesamten Lebensweise.

Klimawandel in der Arktis und Rund um den Polarkreis ist nicht wie der Klimawandel, den der Rest der Welt erlebt. Er gibt uns einen Blick in die Zukunft und rückt diese gleichzeitig in immer greifbarere Nähe. Die Temperaturen im arktischen Zirkel steigen im Durchschnitt jährlich mehr als doppelt so schnell, wie auf dem Rest der Erde. Einen großen Einfluss hierbei hat die Wechselwirkung zwischen höheren Temperaturen und dem Auftauen des Permafrostbodens.

Permafrostboden? Als Permafrostboden bezeichnet man Boden, der über zwei Jahre hinweg eine Durchschnittstemperatur von weniger als 0°C aufweist. Rund ein Viertel der Landfläche der gesamten nördlichen Erdhalbkugel besteht zum Teil oder ganz aus Permafrostboden. Russland, Alaska, Kanada, Grönland und die nördlichsten Teile Skandinaviens, das sind die Hauptregionen in denen Permafrost zu finden ist. 

Und dieser Boden hat eine tragende Bedeutung für unsere Atmosphäre und das Leben auf dem gesamten Planeten. 3m bis 1,5 km, so tief kann der Boden in den arktischen Regionen dauerhaft gefroren sein. In diesem gefrorenen Boden befinden sich Unmengen an kohlestoffhaltigem, organischem Material. Und mit Unmengen sind 1.700 Milliarden Tonnen gemeint. Das ist rund zwei Mal so viel wie derzeit in unserer Atmosphäre rumgeistert und rund vier Mal so viel wie die Unmenge, die wir Menschen bisher selbst produziert haben. Vier Unmengen könnte man also sagen.

Dieses Material ist bisher noch gefroren und damit sicher im Permafrost weggeschlossen. Der Permafrostboden hat sich jedoch in den letzten 30 Jahren um Rund 1,5 – 2,5°C erwärmt. Laut dem Arctic Institute könnten im Laufe der Entwicklung zu einer Erwärmung auf etwa 3°C bereits bis zu 85% der oberen Permafrostschichten aufgetaut sein. Das damit auftauende und freigelegte organische Material ist dann gefundenes Fressen für ebenfalls auftauende Bakterien und andere Kleinstlebewesen. Wird das Material also von diesen Mikroorganismen verarbeitet entsteht Kohlenstoffdioxid und Methan. Sowohl CO2 als auch Methan sind Treibhausgase, die im Umkehrschluss die globale Erwärmung antreiben.

Tauender Permafrost, Herschel Insel, Kanada

Der Teufelskreis schließt sich also und wir kehren zurück zu unserer Wechselwirkung zwischen höheren Temperaturen und dem Auftauen des Permafrostbodens. Nun klingt dies noch relativ abstrakt. Schauen wir uns also ganz konkret an, welche Auswirkungen das Öffnen der Kühlbox der Pandora durch uns Menschen auf uns Menschen hat.

Neben dem globalen Anstieg von Treibhausgasen in unserer Atmosphäre hat das Tauen des Permafrostbodens nämlich eine Reihe von verheerenden lokalen Auswirkungen auf das Ökosystem und das Leben im Polarkreis. Der feste, gefrorene Boden hat über Jahrhunderte ein stabiles Fundament für die besiedelten Gebiete im hohen Norden unseres Planeten dargestellt. Eis hat ein größeres Volumen als Wasser und auch wenn man sich den Permafrostboden nicht als eine Eisschicht vorstellen darf, besteht er zu einem nicht unbeträchtlichen Teil daraus. Mit dem Auftauen des Bodens geht also auch ein Schmelzen des Eises einher. Das Wasser kann die dadurch verlorene Substanz nicht ausfüllen und sickert weiter in den Boden ab. Der Boden wird also brüchig und instabil.

Gebäude, Straßen, Leitungen und im Endeffekt ganze Gemeinden befinden sich somit buchstäblich auf wackligem Boden. In Russland sehen sich zu diesem Zeitpunkt ganze Städte vom Zerfall bedroht. Im Jahr 2016 waren 40% der Gebäude in der Minenstadt Workuta im Nordwesten Russland konkret einsturzgefährdet. Laut Dmitry Streletskiy, Professor an der George Washington University mit Schwerpunkt in Klimaforschung im Zusammenhang mit Permafrost und russischer Geographie, leben in Russland bereits heute in etwa 100.000 Menschen in durch das Tauen des Permafrostes kritisch beschädigten Wohnstrukturen.

Im Mai 2020, ziemlich genau vor einem Jahr, sackte der Boden unter einem Öltank eines Kraftwerks in der Nähe von Norilsk ab. Die Konsequenz war eine, laut Greenpeace die bisher größte arktische, Ölkatastrophe, bei der 21.000 Tonnen Diesel zu einem Großteil in den arktischen Fluss Ambarnaja geflossen sind und die das Ökosystem dort nachhaltig und auf Jahrzehnte hinweg beeinflussen wird.

Ölkatastrophe 2020, Ambarnaja, Russland, rosa Ölstrom

Und nicht nur in Russland, welches eines der wenigen Länder ist, in denen in diesen nördlichen Regionen verhältnismäßig große Städte bestehen, sind Menschen in ihrer Existenzgrundlage bedroht. Indigene Bewohner im Norden Kanadas und in Alaska sehen, wie ihre Kultur und ihre Lebensweise zusammen mit dem Land, auf dem sie leben dahinschmilzt. 

Seit in den 1960er Jahren die indigenen Bewohner in diesen nördlichen Regionen durch Umsiedlungskampagnen seitens der Regierung dazu gezwungen wurden ihren nomadischen Lebensstil aufzugeben und sich in Dörfern und Gemeinden zusammenzuschließen hat sich vieles im Leben der Inuit in Alaska und Kanada modernisiert. Gleichzeitig lebt ein Großteil der indigenen Bevölkerung dennoch weiterhin voller Stolz und Leidenschaft ihre Kultur aus. Viele leben weiterhin als Jäger, versorgen dadurch sich und ihre Gemeinde mit allen lebensnotwendigen Ressourcen. In den arktischen Gebieten war durch die klimatischen Bedingungen nie Ackerbau und Landwirtschaft möglich und so wurde die Jagd zum zentralen Kern der indigenen Kultur im Polarkreis.

Doch diese Lebensweise, welche von Generation zu Generation über viele hundert Jahre, immer mit kleineren Anpassungen weitergegeben wurde droht nun endgültig zu verschwinden. Die Jagdgebiete werden instabil, das Reisen auf dem Permafrostboden wird immer gefährlicher. Auch das Ökosystem verändert sich. Durch das Auftauen des Permafrostbodens sickern an der einen Stelle für den Fischfang wichtige Gewässer in die entstehenden Räume im Boden ab während an der anderen Stelle das auftauende Eis die Tundra überschwemmt und Rentierherden und andere Tiere aus den Jagdgebieten verdrängt. Im gleichen Atemzug wird auch der arktische Ozean immer wärmer. Eisschichten werden dünner und erschweren die Jagdsaison im Winter, auch weil sich Robben und andere Beutetiere zusammen mit dem Eis in noch nördlichere Gebiete zurückziehen.

Der tauende Permafrostboden wird an den Küsten immer mehr Opfer von Erosion. Gemeinden in Küstennähe sind also auch der Gefahr ausgesetzt, dass ihnen der Boden unter den Füßen ganz konkret weggeschwemmt wird. Während sich die Küstenerosion an der Beringsee zwischen 1950 und 2000 im Durchschnitt auf einen halben Meter pro Jahr beschränkte, liegt sie beispielsweise in der abgelegenen Yupik-Gemeinde Newtok, Alaska inzwischen bei 22 Metern pro Jahr. Die Folge sind erneute Umsiedlungsprogramme, welche die indigene Bevölkerung immer weiter von ihrer Heimat entfernen. Insgesamt sind derzeit allein in Alaska etwa 30 Kommunen durch die Veränderung ihrer Umwelt in ihrer Existenz bedroht.

Die heutige Generation der indigenen Bevölkerung leidet. Sie ist die erste, die die Tradition, die ihnen von ihren Vorfahren überlassen und anvertraut worden ist nicht mehr so ausleben kann, wie sie seit Jahrhunderten ausgelebt wurde. Das Land und ihre Heimat, welche untrennbar mit ihrer kulturellen Identität verwoben sind verändert sich und hinterlässt ein Gefühl von Hilflosigkeit. Ashlee Cunsolo, Direktorin des Labrador Instituts der Memorial University, School of Arctic and Subarctic Studies, ist der Überzeugung, dass diese Veränderung eine nicht zu vernachlässigende Auswirkung auf die mentale Gesundheit der Menschen im Polarkreis hat. Depressionen, Angst und Trauer, ein Gefühl des Verlustes.

Existenzangst aufgrund der globalen Erwärmung. Für viele von uns ist sie noch weit weg. Für die Menschen, die in den arktischen Regionen leben, sei es in russischen Städten oder in kanadischen Gemeinden, ist sie längst da. Das Fundament ihres Lebens taut auf. Zusammen mit diesem verschwindet ihre Kultur und ihre Geschichte. 

Mehr zum Thema

https://www.nationalgeographic.com/science/article/arctic-thawing-ground-releasing-shocking-amount-dangerous-gases

Meltdown – The Permafrost that Holds the Arctic Together is Falling Apart

Permafrost Thaw in a Warming World: The Arctic Institute’s Permafrost Series Fall-Winter 2020

https://www.theguardian.com/cities/2016/oct/14/thawing-permafrost-destroying-arctic-cities-norilsk-russia

https://www.theguardian.com/world/2018/may/30/canada-inuits-climate-change-impact-global-warming-melting-ice

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Veröffentlicht von nomennominandum

Die Nomen Nominandum ist das Magazin der Student*innen des Historischen Seminars der LMU. Folgt der NN, deNN sie ist sehr gut!

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