Oppenheimer ist kein Historienfilm!

Von Jonas Hey

Er ist einer der höchstgelobten Filme des Jahres. Er porträtiert den Entwickler der Atombombe J. Robert Oppenheimer. Geht es überhaupt um die Geschichte oder nicht um etwas anderes?

Zeitsprünge statt Chronologie

Der Film macht von Beginn an klar, dass er keine chronologische Nacherzählung der Ereignisse ist. Dies passt ins Schema von Regisseur Christopher Nolan, der bereits in seinen vorherigen Filmen Inception, Interstellar und Tenet mit dem Konzept der Zeit spielte. Hier wechselt die Handlung zwischen drei Zeitebenen: Ein Handlungsstrang zieht sich von Oppenheimers Studienzeit bis zu den Abrüstungsbemühungen in den 1950er Jahren, der Hauptstrang beschäftigt sich mit seiner Sicherheitsanhörung 1954 aufgrund von Kommunismusvorwürfen und zugleich wird noch die Senatsabefragung des zum Handelsminister vorgeschlagenen Lewis Strauss 1959 erzählt. Die letzten beiden bilden die Hauptgeschichte, von der aus die Erzählung in die Vergangenheit springt. Diese Sprünge sind zunächst noch Oppenheimers Erinnerungen, werden aber immer intensiver, bis sie sich wie eine Haupthandlung anfühlen.

Die Geschichte ist nur die Bühne

Für Kenner der Epoche ist meist klar, zu welcher Zeit eine Szene spielt, da man den Figuren bei der Entwicklung zur Atombombe folgt. Es gibt keinen Erzähler oder Einblendungen, die auf Jahre oder Orte verweisen könnten. Solche Zuschreibungen nehmen immer die Figuren selbst vor. Dadurch fühlt sich die Handlung immersiv und weniger nach Schauspiel an. Es geht sogar noch weiter, da der Film nicht einmal historische Ereignisse hervorhebt. Einzig der Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Abwurf der Atombomben kommen explizit vor. Doch weder Pearl Harbor noch Stalingrad oder das tatsächliche Kriegsende werden erwähnt. Sie sind einfach nicht wichtig für den Film, der sich wie eine Blase um Oppenheimer bildet. Alles, was außerhalb davon passiert, wird nicht erwähnt.

Oppenheimer ist auch kein Wissenschaftsfilm

Ebenso geht es in Oppenheimer nicht darum, Wissenschaft zu erklären. Durch das hervorragende CGI werden hin und wieder Elektronenbahnen, Atome im Raum oder Kernspaltungen visualisiert. Dies sind allerdings keine schematischen Darstellungen, sondern beinahe psychedelische Animationen. Dazu wird auch die Funktionsweise der Bombe nicht beschrieben. Es wird lediglich die Sprengung des Außenkerns thematisiert, der dann den inneren radioaktiven Kern zur Spaltung zwingt. Als Schreckensszenario geht es noch darum, dass die Kettenreaktion die Atmosphäre in Brand setzen könnte mit einer theoretischen Wahrscheinlichkeit von „fast null“. Doch bei keiner dieser Erklärungen geht es ins Detail. Als Zuschauer nimmt man die Perspektive eines der zahlreich auftretenden Wissenschaftler ein. Schließlich dreht sich die Handlung oft um Gespräche dieser Gruppe. Sie müssen sich die Hintergründe nicht erklären, immerhin sind sie die Größen und Genies ihres Feldes. Wenn es also nicht um die Wissenschaft geht, worum geht es dann im Film?

Oppenheimer ist der Zielpunkt des Films

Es geht offensichtlich um J. Robert Oppenheimer. Der Titel bezieht sich bewusst nur auf ihn. Zum Glück ist dies auch für die deutsche Fassung so geblieben, ohne durch einen idiotischen Untertitel verzerrt zu werden. Die bereits genannte Haupthandlung zeigt Oppenheimer und seine Weggefährten vor der Sicherheitsanhörung, die seine Sicherheitsfreigabe für die Arbeit in der Atomkommission erneuern soll. Hierbei verliest er eine Stellungnahme und führt chronologisch durch sein Leben. Jede der länger werdenden Episoden zielt allein darauf ab, etwas über Oppenheimer zu erzählen: Seine ersten Versuche im Labor, Treffen mit bekannten Physikern, soziale Erlebnisse und so weiter. Ganz selten allerdings geht es um das Innenleben von Oppenheimer. Nur an wenigen Stellen offenbart er, wie es ihm geht oder was er fühlt. An mehreren Stellen wird er direkt von Personen konfrontiert, die ihn fragen, wie er zur Bombe und deren moralischen Folgen steht. Doch Oppenheimer bleibt stumm. Erst gegen Ende drücken sich seine Bedenken in Forderungen nach Abrüstung aus.

Hier zeigt sich das Ziel des Films, Oppenheimer als ambivalente Figur zu zeigen. Genauer geht es darum, ob er Skrupel wegen des Abwurfs der Atombomben hatte bzw. ab wann sie sich regten. Der Leiter der Atomkommission Strauss intrigiert gegen ihn durch das Einleiten der Sicherheitsanhörung und wirft ihm indirekt vor, dass der Bau der Bombe ihn völlig kalt gelassen habe. Oppenheimer als kaltes Genie, das sich nur für die Wissenschaft interessiert? Doch sehen wir als Zuschauer über den Film hinweg Szene um Szene einen zerrissenen Menschen, der um jeden Preis sein Ziel erreichen will. Nach dieser fantastischen Darstellung durch Cillian Murphy kann jeder Zuschauer für sich entscheiden, wie er Oppenheimer sieht.

Layout: Jonas Hey
Header: Dominika Tóthová

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