The wildest dream: Die britische Mount-Everest-Expedition 1924

von Dominika Tóthová

Großbritannien befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Wettlauf-Fieber. Nachdem die Versuche, als erste Nation den Nord- und Südpol zu erreichen, gescheitert waren, gab es ein neues Ziel: die Erstbesteigung des Mount Everest. Die sogenannte „Eroberung des dritten Pols“ sollte die Schmach tilgen und dem nationalen Prestige dienen. Und so haben die Pläne für die Erstbesteigung begonnen. Zum 100. Todestag der Bergsteiger George H. L. Mallory und Andrew C. Irvine soll dieser Artikel einen Einblick in die Expedition 1924 bieten, um deren Ausgang sich bis heute viele Spekulationen und Mythen ranken.

Der Plan und die Vorbereitungen

Noch bevor es überhaupt zu einer Reise zum höchsten Berg der Welt kommen konnte, mussten englische Regierungsvertreter mit vielen Anstrengungen eine Erlaubnis des Dalai-Lama für die Expedition einholen. Eine Route zur Südseite des Mount Everest, die in Nepal liegt, war ausgeschlossen, da Nepal für westliche Ausländer als „Verbotenes Land“ galt. Der Dalai-Lama erlaubte den Briten schließlich die Expedition, was die Planung einer Route über die Nordseite im Tibet ermöglichte. Allerdings brachte dies eine große Schwierigkeit mit sich: das kurze Zeitfenster zwischen der Winterzeit und dem Einsetzen des Monsunregens. Um die Nordwand des Mount Everest rechtzeitig erreichen zu können, musste aber erst eine langwierige Reise vom indisch-englischen Kolonialreich aus nach Tibet angetreten werden. Der Weg führte über hohe und lange verschneit bleibende Pässe, was die Anreise des gesamten Expeditionsteams, inklusive Lastentieren, erschwerte. Das Erreichen der Nordwand war also erst im späten April möglich – der Monsun setzt im Tibet bereits im Juni ein.

Die britische Mount-Everest-Expedition 1924 war nicht die erste. Davor gab es bereits zwei andere – somit war die Route zum höchsten Berg der Welt den Briten bereits bekannt. Die Organisation der Expeditionen, die überwiegend militärischen Prinzipien folgten, übernahmen die Royal Geographical Society, der Alpine Club, sowie das Mount Everest Committee in Zusammenarbeit mit dem Militär.

Die erste Expedition fand im Jahr 1921 statt und diente zur Vermessung der Region. Die Besteigung des Mount Everest war also nicht das Ziel, wobei man während des Aufenthaltes bereits über mögliche Aufstiegsrouten spekulierte. Harold Raeburn (damaliger bergsteigerischer Leiter) glaubte zunächst eine gangbare Route über den kompletten Nordostgrad entdeckt zu haben. Diese Route wurde vom Bergsteiger George Mallory, der an allen britischen Expeditionen der 1920ern beteiligt war, modifiziert. Die neue Route führte zuerst über den Nordsattel, sowie den Nordgrat und erst dann zum Nordostgrat, der direkt zum Gipfel führt. Der gesamte Weg wurde gründlich ausgekundschaftet – man musste „nur“ hinaufklettern.

Die zweite Expedition im Jahr 1922 hatte den Gipfel des Mount Everest als Ziel. Es wurden mehrere, aber erfolglose Besteigungsversuche auf dem von Mallory vorgeschlagenen Weg unternommen. Leider forderte diese Expedition auch mehrere Todesopfer, nachdem sich beim dritten Besteigungsversuch eine Schneeplatte löste. Dieses Unglück beendete die Expedition 1922. Da die Zeit und die finanziellen Mittel für eine Expedition 1923 nicht ausreichten, wurde die dritte Expedition erst für das Jahr 1924 geplant.

Abb. 1: Nord-Seite des Mount Everest

Die Teilnehmer 1924

Zur Auswahl des Teams stand nicht nur bergsteigerisches Talent im Vordergrund, sondern auch die Schichtzugehörigkeit, die Zugehörigkeit zum Militär, sowie Personen bestimmter Berufsgruppen.
Leiter der dritten Expedition war bereits zum zweiten Mal Brigadier-General Charles G. Bruce. Neben der Leitung war er auch für die Anwerbung der Träger, der Beschaffung von Material und der Wahl der Route bis zum Mount Everest verantwortlich. Da der Erste Weltkrieg leider vielen guten Bergsteigern das Leben kostete, war die Auswahl der Bergsteiger schwierig. Neben George H. L. Mallory (Bergsteiger/Lehrer), Dr. T. Howard Somervell (Bergsteiger/Arzt), Edward F. Norton (Bergsteiger und stellv. Expeditionsleiter/Offizier) und J. Geoffrey Bruce (Bergsteiger und Verantwortlicher der Träger/Offizier), die bereits an den vorherigen Expeditionen teilgenommen haben, entschied man sich noch für Noel E. Odell (Bergsteiger/Geologe) , Bentley Beetham (Bergsteiger/Lehrer), John de Vere Hazard (Bergsteiger und Landvermesser/Ingenieur), Richard W.G. Hingston (Expeditionsarzt und Naturalist/Arzt und Offizier), John B.L. Noel (Fotograf und Filmkameramann/Offizier), Edward O. Shebbeare (Transportoffizier/Verwaltungsbeamter im indischen Ministerium für Forstwirtschaft) und den noch jungen Maschinenbaustudenten Andrew C. Irvine (Bergsteiger/Ingenieur), sowie eine große Anzahl an Trägern. Andrew Irvine war auch derjenige, der die mitgenommenen Sauerstoffgeräte während der Expedition reparieren und verbessern konnte.

Doch der Einsatz von Sauerstoffgeräten wurde im Allgemeinen eher kritisch beäugt. Innerhalb des Mount-Everest-Committees selbst war man sich nicht einig, ob diese auf die Expedition erneut mitgenommen werden sollten, oder nicht. Zwar wurde bereits 1922 ein Höhenweltrekord für Bergsteiger mit Sauerstoffflaschen aufgestellt (damals waren es George Ingle Finch und J. Geoffrey Bruce auf 8326m), doch der Erfolg wurde nur wenig anerkannt. Man entschied sich dazu die Sauerstoffflaschen auf die Expedition mitzunehmen, da diese bereits auch technisch verbessert waren. Es passten etwas 535 Liter Sauerstoff in die 15kg schweren Flaschen, die Großbritannien den Sieg im Wettlauf auf den höchsten Berg der Welt bringen sollten.

Die Anreise

Charles und Geoffrey Bruce, Norton und Shebbeare trafen Ende Februar 1924 in Darjeeling/Indien ein und wählten aus einer Reihe von Tibetern und Sherpas die Träger aus. Als Dolmetscher begleitete sie ein weiteres Mal der Tibeter Karma Paul und Gvalzen wurde als Sirdar (Anführer der Träger) eingestellt. Nachdem Ende März 1924 alle Expeditionsteilnehmer anwesend waren und die Auswahl der Ausrüstungsgegenstände und Nahrungsmittel abgeschlossen war, konnte die Reise zum Mount Everest beginnen. Aufgeteilt in zwei Gruppen folgte man der Route, die bereits 1921 und 1922 angetreten wurde. Anfang April erreichte das Expeditionsteam Yatung, am 5. April Phari Dzong.
Mit einer zweitägigen Verzögerung wanderte ein Hauptteil der Expedition Richtung Kampa Dzong, während Charles Bruce mit einigen anderen eine längere, aber leichtere Route Richtung Mount Everest antrat. Allerdings erkrankte Bruce auf dieser Reise so schwer an Malaria, dass er die Expedition nicht mehr leiten konnte und somit die Leitung an seinen Stellvertreter Norton übergab. Das Expeditionsteam erreichte am 23. April Shekar Dzong und am 28. April das Rongpu-Kloster auf 4980m, welches nur wenige Kilometer vom geplanten Basislager entfernt lag. Da der Lama des Klosters krank war, konnte er das Expeditionsteam nicht begrüßen und die Träger auch nicht segnen, wie er es bereits 1921 getan hat. Am 29. April erreichte das Team das Basislager im kalten und verschneiten Haupt-Rongpu-Tal.

Abb. 2: Eigenhändig eingezeichnete Route der Reise des Expeditionsteams von Darjeeling bis zum Rongpu-Kloster

Im Jahr 1921 hat Mallory eine Route zur Nordseite des Mount Everest und dessen Gipfel entdeckt. Ausgehend vom Rongpu-Gletscher verläuft die Route über den einmündenden östlichen Rongpu-Gletscher zum Nordsattel. Von da ist der weitere Aufstieg über den Nord- und Nordostgrat möglich. Auf der zweiten Felsstufe im Nordostgrat stößt man auf etwa 8610m auf ein schwerwiegendes, klettertechnisches Hindernis, was aber zu diesem Zeitpunkt dem Expeditionsteam nicht bekannt war. 
Diese Felsstufe hat eine Kletterhöhe von 40m, wobei die letzten 5m fast senkrecht sind. Der Plan war oberhalb des Nordsattels in die Nordflanke des Mount Everest zu queren und über die steile Schlucht (heute Norton-Couloir genannt) den Gipfel zu erreichen. (Erst 1980 gelang es Reinhold Messner über diese Route den Gipfel zu erreichen.)

Noch bevor die Expedition startete, wurden die Positionen der ersten Hochlager geplant. Der Aufbau der Lager begann Ende April 1924. Lager I befand sich auf etwa 5500m, welches am Zusammenfluss des östlichen Rongpu-Gletschers und des Hauptarms errichtet wurde. Lager II wurde auf etwa 5900m aufgebaut – etwa auf halbem Weg zu den Steilhängen des Nordsattels. Unmittelbar unter dem vereisten Steilhang wurde auf 6400m Lager III errichtet. Viele Träger, die für den Transport der Ausrüstungsgegenstände in die Lager verantwortlich waren, mussten die Arbeit für das Expeditionsteam früh abbrechen und zu ihrer Arbeit auf ihren Feldern zurückkehren. Da sich auch das Wetter verschlechterte, kam es zwischen dem 05. und 11. Mai zu einer Rückzugsaktion, die zwei Todesopfer und mehrere Verletze forderte. Am 15. Mai erhielt das Expeditionsteam den Segen des Dzatrul Rinpoche des Klosters Rongpu. Dies motivierte vor allem Bhotia- und Sherpa-Träger. Auch das Wetter besserte sich und so erreichten Norton, Mallory, Somervell und Odell am 19. Mai Lager III und begannen mit dem Sichern des Aufstiegs auf den Nordsattel. Am 21. Mai konnte Lager IV auf 7000m errichtet werden. Da sich das Wetter aber erneut verschlechterte, wurde Hazard mit insgesamt zwölf Trägern und nur wenig Lebensmitteln in Lager IV zurückgelassen. Es gelang ihm mit acht Trägern eine Zeit später abzusteigen, wobei die restlichen vier Träger aus Angst ins Lager IV zurückkehrten. Diese hatten allesamt Erfrierungen und wurden aufgrund erwarteter Schneefälle von Norton, Mallory und Somervell, die selbst alle krank waren, gerettet. Die gesamte Mannschaft wurde am 26. Mai im Lager I zu einem „Kriegsrat“ versammelt und die ursprünglichen Pläne revidiert. Das britische Expeditionsteam verfügte nurmehr über 15 Träger, die körperlich fit genug waren, um weiterhin an der Expedition teilzunehmen. Diese erhielten die Bezeichnung the tigers.

Die Besteigungsversuche

Den ersten Besteigungsversuch wagten Mallory und Bruce am 01. Juni 1924 und wurden dabei von neun Trägern unterstützt. Sie waren starkem Wind ausgesetzt und bis das nächste Lager V auf 7700m erreicht werden konnte, hatten bereits vier Träger ihre Lasten abgelegt. Diese mussten von Bruce und einem anderen Träger wiedergeholt werden, während Mallory die Plattformen für die Zelte errichtete. Drei weitere Träger weigerten sich anschließend den Besteigungsversuch fortzusetzen, woraufhin man diesen abgebrochen hat, noch bevor Lager VI errichtet werden konnte. Sie trafen auf halben Rückweg auf Norton und Somervell, die mit dem zweiten Besteigungsversuch begonnen haben.

Norton und Somervell begannen den zweiten Besteigungsversuch am 02. Juni und wurden von sechs Trägern unterstützt. Am nächsten Tag waren drei Träger bereit mit Norton und Somervell weiterzugehen und so errichteten sie Lager VI auf 8140m in einer kleinen Felsnische. Die Träger wurden anschließend zum Nordsattel zurückgeschickt um am 04. Juni machten sich die Bergsteiger gegen 06:40 auf den Weg Richtung Gipfel. Da beiden Bergsteigern die Höhenmeter zu schaffen machten, mussten sie mehrere Pausen einlegen. Doch gegen Mittag konnte Somervell nicht mehr weiter und so ging erstmal Norton allein Richtung Gipfel. Er visierte nicht den Nordostgrat an, sondern querte die Nordwand unter Grathöhe in Richtung einer Steilschlucht, die sogenannte Norton-Couloir. Norton erreichte eine Höhe von 8573m. Bis 1952 war er der einzige Bergsteiger, der diese Höhe nachgewiesen erreicht hatte. Obwohl er dem Gipfel nah war, entschloss sich Norton, aufgrund von fehlender Zeit und Zweifeln an seiner Leistungsfähigkeit, zur Umkehr. Gegen 14:00 Uhr erreichte er Somervell und sie stiegen gemeinsam ab. Während des Abstiegs drohte Somervell an einem Schleimpfropf in seiner Luftröhre zu ersticken, den er schließlich lösen konnte und gemeinsam mit Norton Lager IV erreichte. Norton litt an den folgenden Tagen an Sehblindheit. Zwar wurden ihnen Sauerstofflaschen für die Genesung angeboten, doch Norton und Somervell lehnten diese ab.

Sowohl der erste als auch der zweite Besteigungsversuch wurde ohne Sauerstoffflaschen unternommen. Den dritten Besteigungsversuch wollte Mallory nun mit Sauerstofflaschen unternehmen.  Nach ihrem gescheiterten ersten Besteigungsversuch stiegen Mallory und Bruce erstmal ins Lager III ab. Für den dritten Besteigungsversuch nahm Mallory nun Irvine als seine Begleitung mit, der sich um die Sauerstoffflaschen kümmerte. 
Die beiden Bergsteiger verweilten am 05. Juni in Lager IV und um 08:40 des Folgetages brachen sie mit acht Trägern auf Richtung Lager V. Lager VI erreichten sie am 07. Juni. Mallory schickte vier Träger wieder zurück ins Lager V, wo sie auf einen Träger und Odell trafen und diesen zwei Nachrichten von Mallory übergaben, u.a. folgende an Noel:

“Dear Noel,

We’ll probably start early to-morrow (8th) in order to have clear weather. It won’t be too early to start looking for us either crossing the rock band under the pyramid or going up skyline at 8.0 P.M.“

Yours ever, G. Mallory.“

Mallory meinte hier nicht 8 p.m. abends, sondern 8 a.m. morgens. [1]

Am 08. Juni suchte Odell nach einem guten Aussichtspunkt, um Mallory und Irvine bei ihrem Aufstieg beobachten zu können. Da es aber bewölkt war, konnte er die zwei Bergsteiger nicht sehen. Odell selbst kletterte auf 7900m und als gegen 12:50 der Nebel kurz aufriss, schrieb er in seinem Tagebuch, dass er Mallory und Irvine am Fuße der Gipfelpyramide sah. Er erblickte zuerst einen schwarzen Punkt, der sich bewegte. Ein zweiter schwarzer Punkt folgte ihm. 
Da die Bergsteiger zeitlich nicht gut dran waren, fing Odell an sich Sorgen zu machen und ging nach seiner Beobachtung zum Lager VI, wo er ein chaotisch hinterlassenes Zelt vorfand. Er hielt sich dort nur kurz auf, bevor er wieder höher stieg und die beiden Bergsteiger auf sich aufmerksam machen wollte, um ihnen beim Abstieg zu helfen, da ein Schneesturm einsetzte. Doch sie kamen nicht. Er kehrte ins Lager VI zurück und nachdem der Schnellfall aufhörte suchte er erneut nach Mallory und Irvine. Odell wusste, dass Mallory schnell absteigen wollte. Da das Zelt des Lagers VI nur Platz für zwei hatte, ging Odell wie angewiesen ins Lager IV zurück und kam dort gegen 18:45 an. 
Da es am 09. Juni kein Zeichen von Mallory oder Irvine gab, machte sich Odell mit zwei Trägern erneut auf den Weg nach oben. Sie erreichten Lager V gegen 15:30, übernachteten dort und Odell ging daraufhin allein weiter zum Lager VI. Dieses fand er unverändert vor. Er stieg noch einige Höhenmeter weiter, doch von Mallory und Irvine fehlte jede Spur.
Zurück in Lager VI legte er, wie besprochen, mithilfe von 2 Schlafsäcken, die Form eines „T“ aus – dies bedeutete: „No trace can be found; Given up hope; Awaiting orders“ – um die weiter unten wartenden Expeditionsteilnehmer zu informieren, die den Suchtrupp wiederum zum Rückzug aufforderten. Daraufhin kehrte Odell zum Lager IV zurück und am Morgen des 11. Juni begann der Abstieg vom Nordsattel – die Expedition war hiermit beendet. 
Am 16. Juni verabschiedeten sich die Bergsteiger vom Lama des Klosters Rongpu und traten ihre Rückreise nach Europa an.

Nachwirkungen

Die verbliebenen Expeditionsteilnehmer errichteten eine Gedenkpyramide für die am Mount Everest ums Leben gekommen Bergsteiger. Mallory und Irvine wurden zu Nationalhelden – Irvine wurde ein Gedenkstein der Universität Oxford gewidmet und im Beisein des Königs und des britischen Adels fand in der St. Paul’s Cathedral ein Gedenkgottesdienst für die verstorbenen Bergsteiger statt. 
Eine weitere britische Expedition gab es erst wieder 1933.
Dass Mallory und Irvine den Gipfel erreicht haben, hält Odell für sehr wahrscheinlich. Immerhin hat er die beiden gesehen – doch über die Jahre hinweg ändert sich immer wieder seine Aussage über den genauen Punkt der Sichtung. Zuerst soll er die beiden Bergsteiger zwischen dem Second und Third Step gesehen haben, wobei letzterer in der Mount Everest Terminologie noch gar nicht aufgenommen war. Später äußerte er, dass die Möglichkeit besteht die beiden am First Step gesehen zu haben. Wieder später behauptete er, dass er die beiden am Second Step gesehen hat. Seit 1924 war er sich allerdings nie wirklich sicher, auf welcher Stufe er Mallory und Irvine zuletzt gesehen hat, wie er 1986 zugab.

Aufschluss über Mallorys und Irvines Schicksal gaben bereits die Lager V und VI. Odell fand in Lager V Mallorys Kompass, mehrere Sauerstoffflaschen sowie Zubehörteile. Es wird vermutet, dass es ein Problem mit den Sauerstoffflaschen gab und Irvine versuchte dieses zu beheben. Odell fand auch eine elektrische Taschenlampe, die im Zelt zurückblieb. Diese funktionierte auch noch 9 Jahre nach der Expedition, als man 1933 die Reste des Zeltes fand.
Etwa 230m östlich vom First Step und 20m unterhalb des Grats fanden P. Wyn-Harris und L. R. Wager während der britischen Mount-Everest Expedition 1933 den Eispickel von Irvine. Doch dieser Fund brachte mehr Fragen als Antworten, denn das Gelände war nicht so schwierig, dass es einen Sturz hätte geben können. Dass der Eispickel auf dem Mount Everest freiwillig zurückgelassen wurde, ist auch eher unwahrscheinlich.

Sowohl der chinesische Bergsteiger Xu Jing und der Sherpa Chhiring Dorje haben wohl im Gelben Band die Leiche von Irvine entdeckt – nach heutigem Kenntnisstand kann es sich nur um seine Leiche handeln, bewiesen wurde es allerdings noch nicht. 1975 entdeckte der chinesische Bergsteiger Wang Hongbao auf der Besteigung über die Nordroute auf 8100m die Leiche eines Engländers. Zwar wurde diese Nachricht nie offiziell freigegeben, aber sie führte zur ersten Mallory-Irvine-Suchexpedition im Jahre 1986. Diese brachte allerdings aufgrund schlechter Wetterbedingungen keine Ergebnisse. Eric Simonson leitete 1999 die zweite Suchexpedition, da er laut eigenen Angaben in der Nähe des First Step alte Sauerstoffflaschen entdeckte. Es wurde auch ein Versuch unternommen Odells Position einzunehmen, von der aus Odell Mallory und Irvine ein letztes Mal gesehen hat. Bei dieser Suchexpedition fand man schließlich auf 8155m den Leichnam Mallorys. Ein Absturz vom Grat lässt sich ausschließen, da der Zustand der Leiche eher darauf schließen lässt, dass er nicht sehr weit gestürzt ist. Man vermutet, dass im Fall von Mallory und Irvine das Gelbe Band der Unglückort ist. Allerdings kann keine Verknüpfung zwischen dem Fundort von Mallorys Leichnam und dem Eispickel von Irvine hergestellt werden. Man geht davon aus, dass Mallory stürzte und danach noch ein Stück weit abrutschte. Da er dabei eine Kopfverletzung und einen Beinbruch erlitt, war ein weiterer Abstieg unmöglich. Er war wohl noch bei Bewusstsein, denn er trug keine Schneebrille und wurde in einer beinschonenden Haltung gefunden. Aber es fehlen zwei wichtige Gegenstände, die Aufschluss darüber hätten geben können, ob Mallory und Irvine wirklich den Gipfel erreichten: eine Kamera und ein Bild von Mallorys Frau Ruth, welches er auf dem Gipfel des Mount Everest ablegen wollte.

Abb. 3: grüne Linie: grobe Route Mallorys; rote Linie: Norton-Couloir; ✝1: Fundort Mallorys 1999

Die letzte Suchexpedition fand 2001 statt. Dabei wurde ein Handschuh auf 8440m gefunden und stammt vermutlich von Mallory oder Irvine. Man entdeckte auch das letzte Lager VI der beiden Bergsteiger.

Die ersten Menschen auf dem Mount Everest?

Bis heute wird spekuliert, ob Mallory und Irvine den Gipfel des Mount Everest erreicht haben. Dies würde bedeuten, dass die zwei die Erstbesteiger des Berges wären. Man hat dahingehend viele Nachforschungen betrieben, um sicherzustellen, dass die Bedingungen zu einer Erstbesteigung gegeben waren. Mallorys Kleidung wurde reproduziert und als ausreichend befunden, allerdings nur bei guten Wetterbedingungen. 
Vor allem aber Odells Sichtung treibt die Diskussionen bezüglich der Erstbesteigung an. Nach heutigem Wissenstand ist eine Sichtung der Bergsteiger auf dem Second Step eher unwahrscheinlich, da dieser nicht in kurzer Zeit zu erklettern ist. Es kommen dementsprechend nur der First Step und der Third Step in Frage. Gegen den First Step spricht Odells Schilderung, die beiden kurz unterhalb der Gipfelpyramide klettern gesehen zu haben. Der First Step liegt aber zu weit entfernt von der Gipfelpyramide. Auch der Third Step erscheint eher unwahrscheinlich, denn dafür sind Mallory und Irvine zu spät aufgebrochen. Generell besteht aber kein Zweifel daran, dass Mallory und Irvine dazu fähig waren die letzten Meter zum Gipfel zu bezwingen.

Gegen die Theorie, dass die beiden Bergsteiger den Gipfel erreicht haben, spricht die Tatsache, dass der Weg schlichtweg zu weit war und sie es nicht vor Einbruch der Dunkelheit hätten schaffen können. Den Gipfel konnte erst 1990 Edmund Viesturs mit der Route, die Mallory und Irvine nahmen, das erste Mal erreichen – allerdings war ihm das Terrain bereits bekannt, im Gegensatz zu Mallory und Irvine.

Bis heute kann nicht geklärt werden, was mit Mallory und Irvine am 08. Juni passiert ist. 
29 Jahre später gelang es dem Sherpa Tenzing Norgay und Edmund Hillary den Gipfel zu erreichen. Leider fanden sie keine Spuren von Mallory und Irvine – ob sie es tatsächlich geschafft haben, den höchsten Berg der Welt zu bezwingen, bleibt bis heute ein Rätsel.

Abb. 4: George H. L. Mallory
Abb. 5: Andrew C. Irvine

[1] BREASHEARS, David/SALKELD, Audrey: Mallorys Geheimnis. Was geschah am Mount Everest?, München 2000, S. 183.

Literaturnachweise:
BREASHEARS, David/SALKELD, Audrey: Mallorys Geheimnis. Was geschah am Mount Everest?, München 2000.
HEMMLEB, Jochen: Tatort Mount Everest: Der Fall Mallory. Neue Fakten und Hintergründe, München 2009.
HEMMLEB, Jochen/SIMONSON, Eric R./HAHN, Dave: Detectives on Everest. The 2001 Mallory and Irvine Researche Expedition, Seattle 2002.
HOLZEL, Tom/SALKELD, Audrey: In der Todeszone. Das Geheimnis um George Mallory und die Erstbesteigung des Mount Everest, München 1999.
NORTON, Edward F.: Bis zur Spitze des Mount Everest. Die Besteigung 1924, Berlin 2000.

Abbildungsnachweise:
Abb. 1: Mount Everest von peteranta auf Pixabay lizenziert mit Pixabay License https://pixabay.com/de/service/license/
Abb. 2: Routenplanung von Darjeeling/Indien zum Rongpu-Kloster/Tibet. Google Maps, 2024, maps.google.com.
Abb. 3: Luca Galuzzi – http://www.galuzzi.itUser:Kassander der Minoer at de.wikipedia, CC BY-SA 2.5 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5&gt;, via Wikimedia Commons, „Nordwand des Mt. Everest, über zwei Vorgipfel hinweg aus dem Rongpu-Tal fotografiert“, (https://de.wikipedia.org/wiki/Britische_Mount-Everest-Expedition_1924#/media/Datei:North_face_marked.png)
Abb. 4: Unknown Author, Public domain, via Wikimedia Commons, „British climber George Mallory“, (https://de.wikipedia.org/wiki/George_Mallory#/media/Datei:George_Mallory_1915.jpg)
Abb. 5: Unknown photographer, Public domain, via Wikimedia Commons, „Andrew Irvine (1902-1924) during his college years at Merton (Oxford)“, (https://de.wikipedia.org/wiki/Andrew_Irvine#/media/Datei:AndrewIrvine.jpg)


Layout: Dominika Tóthová
Header: Jonas Rodewald

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